Milad Ahmadvand

Milad – Woche 1 – Hallo Sasso
Jun 28, 2021

Hier bin ich also. Irgendwo im Tessin, unweit von Locarno und gefühlt nur einen Steinwurf vom Paradies entfernt. Das Haus lädt von Beginn an zum Verweilen ein; der Garten und der Hof tragen ihres dazu bei. Ich kann mich nicht erinnern, wann es das letzte Mal so ruhig um mich war, und wann ich zuletzt hab einfach nichts tun können.

Inzwischen haben Olivia, Elenam Hee Jae und ich uns etwas kennenlernen können. Natürlich führte der erste gemeinsame Weg hinunter zum Strand; zu jenem freundlichen Mexikaner, von dem man uns zuvor schon erzählt hatte. Die Füsse im kühlen Wasser, stiessen wir auf unsere Zeit hier an. Und die beginnt jetzt allmählich Form anzunehmen.

Während ich auf meine Gäste warte, die Teil eines Projektes sein sollen, nutze ich die Zeit, um zuletzt liegen gebliebenes aufzuarbeiten und erkundige die nahe Umgebung. Da ist der Wald, sind Bäche und farbenfrohe Häuser hinter deren Zäune sich so manche tierische Überraschung sehen lässt.

Kurz: Es ist ein schöner Ort und einer, der jetzt schon inspiriert.

Milad – Woche 2 – Neun Jahre
Jul 14, 2021

Es braut sich etwas zusammen. Drüben am Hang und weiter im Tal. Vom Balkon aus lässt sich das Schauspiel beobachten. Weg sind die Farben und mit ihnen die Vögel. Ascona ist gänzlich umhüllt; Locarno wird als nächstes verschwinden. Um mich sind HeeJae, Olivia, Elena und ihr Freund, Felix. Wir stossen an.

Ein wenig erinnert mich das an jene Sommerabende an der Nordsee. Unweit des Hafens “Alten Liebe”, dort wo der Wind die Berge ersetzt und Land und Leute zu schweigenden Dünen formt, sah ich das letzte Mal ein ähnliches Bild. Damals, wie heute wurde blau zu grau und gab den Bäumen den Takt vor, zu denen sie tanzten. Oben und unten wurde dann eins und der Regen malte im Sand seine eigenen Bilder.

Sie trug ein sandfarbenes Kleid und ihr zuversichtliches Lächeln. Sie trägt es auch heute noch, wenn sie mich straucheln sieht.

Neun Jahre Ehe sind es heute. Ich möchte dir schreiben und weiss nicht was. Worte waren nie unsere Sprache. Wie die Bewohner der Alten Liebe, die einander schon von Weitem sehend in Gedanken ganze Gespräche führen, so blicken auch wir uns meist nur nickend an.

Inzwischen ist der See gänzlich im Dunst der Wolken versunken und seine kalten Vorboten kündigen den Sturm an. Im ganzen Land schreibt man sich besorgte SMS. Die Casa Sasso trotzt soweit.

Wir ziehen an, was unsere Koffer an wärmenden Kleidern hergeben und ziehen in den Sturm. Tessiner Essen lockt eben trotz Wind und Wetter. Es gibt Gnocci, gibt Fisch und Fleisch, dazu Wein und Limoncello. Wir prosten uns auf koreanisch, deutsch und farsi zu.

Ich schreibe dir.

Das Ambiente runden alteingesessene Stammgäste am Nebentisch ab. Ein schöner Abend. Damals, wie heute.

Milad – Woche 3 – Spirito
Jul 19, 2021

Die Zeit läuft seit einigen Tagen schneller. Das liegt an dem nahenden Abschied und daran, dass das Leben ausserhalb dieser Wände ihre Vorboten in Form von E-Mails und Terminanfragen sendet. Bloss hier bleiben.

Was waren deine Lieblings-Sasso-Momente?” fragt sie spät Abends in die Runde und wir reisen gemeinsam zurück. Es gab da viel. Und in fast allem lag eine Ruhe, die ich vermissen werde. Sasso war von Beginn an ein “sich fallen lassen”, ist es auch heute noch.

Es war ein Entdecken der Anderen und für mich im speziellen eine intensive Reise zu ihren und meinen verwundbarsten Stellen. Spirito – so heisst das Zimmer im oberen Stockwerk – wurde zum Safe-room; zum Brunnen in dem man seine Ängste und seinen Schmerz hineinwirf; darauf wartend, dass sie irgendwo tief unten ein Geräusch der Erleichterung auslöst; Dass das Echo uns hilft zu verstehen. Ein unsichbarer Geist, der nicht urteilt.

Spirito.

Elisabeth Egli – Fotografin

Hier sitze ich ihnen gegenüber. Meinen Protagonisten. Es sind ihrer mehr, als ursprünglich gedacht. Im Spirito gehen wir zurück. Es gab in unser aller Leben einschneidende, traumatische Erlebnisse und uns allen hat eine kreative Ausdrucksform hinaus geholfen oder zumindest uns zu ihr geführt.

Die Kamera ist installiert. Sie wird zwölf Sekunden verzögert zum Auslösen ein Bild zeichnen. Gerichtet ist sie auf mein/e Gesprächspartner/in.

Olivia Kurz – Grafikerin

Wie beginnt man eine rückwärts gerichtete Fahrt?

Manchmal braucht es nicht viel. Einen Anstoss. Schweigen. Und dann fliesst es von selbst. Ich denke, dass es uns da allen gleich geht. Wir sind gefangen in unsere Rollen, unsere Muster und glauben mit Vielem allein zu sein und alleine klarkommen zu müssen. Im besten Fall haben wir Menschen an unserer Seite, die uns sehen, auch wenn wir selbst gern den Blick abwenden mögen. Das aber ist eher ein Glücksfall und selten.

Ich glaube rückblickend, dass ich Gefahr lief in eine Depression abzudriften. Ich hab das mit niemandem geteilt. Der Lockdown und die Leere setzte viel frei. Das war gut und fruchtbar in gewisserweise. Sicher rührt dieses Projekt auch daher. Dem Wunsch danach selbst in den Brunnen zu horchen.

Dass ich hierher gefunden habe, war meine Rettung aus dem Strudel. Eine Pause; Abstand und Spirito. Ein Ort, an dem wir gemeinsam haben einiges abladen können und der eine tiefe Verbundenheit zwischen uns erzeugte.

Ich bin dankbar dafür.