Lorena Cipriano

lorena cipriano – week 1 – kraken, schatten e il mare
Aug 27, 2023

kraken besitzen drei herzen.

ich existier irgendwo zwischen licht und schatten, da wo sie aufeinandertreffen, an der schwelle zwischen sichtbar und unsichtbar. ich existier da, wo mensch mich grad noch ausmachen kann ohne meinen umriss klar fassen zu können.

(ich bin ein schattengewächs, ich gedeihe auch im dunkeln.)

ich existier in der glühenden mittagssonne, die mir die sicht versperrt, im lichtspiel wenn man früh (oder doch sehr spät) unterwegs ist e la dove ballano le cat’catasc’. ich existier da, wo der kontrast nicht hart ist, wo alles verschwimmt und das eine auch das andere sein könnte.

kraken sind gestaltwandler*innen.
manchmal tarnen sich männchen als weibchen, indem sie ihre streifen verstecken und sich besonders feminin bewegen.

vorrei oscillare tra loro
nel tira e molla tra luna e mare
magari riuscirei ad esistere
in quel limbo infinito
non dover rientrare in qualcosa di definito
ma in qualcosa
di fluido
che cambia sempre
e che viene amato con le sue pluralità

ich mag vögel nicht.
hab aber herausgefunden, dass kraken einen schnabel haben.

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zur zeit, widme ich mich lyrisch-dramatischem schreiben und den themen von queerness, fluidität, schatten und mollusken. ich (lori, they/keine) arbeite in den bereichen von theater und performance und habe einen hintergrund in visueller gestaltung.

www.lorenacipriano.ch @lorenacipriano.ch

lorena cipriano – week 2 – bodies (of water) 
Sep 4, 2023

«we’re all bodies of water.»¹

als kind war ich ein tomboy 
(sagen sie).
manchmal bin ich ein kraken.
ich bin gestaltwandler*in,
ich bin wasser.
und manchmal möcht ich ein endoplasmatisches retikulum sein.

«despite the fact that we are all watery bodies, leaking into and sponging off of one another, we resist total dissolution, material annihilation.»²

ich bin der kraken, der seine gestalt wandelt. 
ich bin der ozean (sein salzreservoir in meinen tränen, meinem schweiss.) 
ich bin wasser.
bin in konstantem flow.
formbar.
malleabile.
mal-le-à-bi-le
weich.
oktopus statt kraken.
[surprise, ein und dasselbe wesen.]
[welche zuschreibungen gabst du mir aufgrund meines namens?]

«there is always the risk of flooding.»³

die pfütze ist auf besuch
und in meinem hals steckt der ozean

–––––

ich widme mich nach wie vor lyrisch-dramatischem schreiben und den themen von queerness, fluidität, schatten und mollusken. neu kommt eine recherche zum hydrofeminismus dazu.

1, 2, 3 Neimanis, Astrida. Hydrofeminism: Or, On Becoming a Body of Water. in Undutiful Daughters: Mobilizing Future Concepts, Bodies and Subjectivities in Feminist Thought and Practice, eds. Henriette Gunkel, Chrysanthi Nigianni and Fanny Söderbäck. New York: Palgrave Macmillan, 2012.

lorena cipriano – week 3 – kraken haben drei herzen 
Sep 19, 2023

«Metaphern sind per Definition offen. Sie überwinden den Gegensatz von Theorie und Praxis, privat und politisch, Gefühl und Logik, Begehren und Sprache. Von einer heterosexuellen Verhaftung und einer queeren Zukunft, in der nur das Ungewisse gewiss ist.»1

«Lann Hornscheidt und Jan Sammla unterscheiden drei Strategien für gendergerechtes Formulieren: genderinklusiv sprechen und schreiben, genderfrei sprechen und schreiben, Genderismus benennen.»2

unsere vorfahren lebten im wasser. 
wasserwesen.
(damals war alles besser.) 
(google, warum gingen die fische an land?)
haben sofort begonnen, sich den ozean in die brust zu füllen.
(trinken kraken?) 
(füllen sie sich die brust mit ozean?) 

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während meines aufenthalts in der sasso residency habe ich mich lyrisch-dramatischem schreiben und den themen von queerness, fluidität, kraken, wasser und hydrofeminismus gewidmet. dabei ist das konzept für ein kurzstück entstanden.

mehr unter www.lorenacipriano.ch oder @lorenacipriano.ch

1 Eva Tepest: Power Bottom, Essays über Sprache, Sex und Community. 2023. S. 52.
2 Lann Hornscheidt / Jan Sammla: Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht? 2021. S. 28-29. in Charlotte Bomy / Lisa Wegener (Hrsg.): Surf durch Undefiniertes Gelände, Internationale queere Dramatik, 2022. S. 13.