Jana Mila Lippitz, Sophie Meuresch

Jana Mila Lippitz & Sophie Meuresch – Week 4
Jun 24, 2018

Was glaubst du, wie wirst du dich an die Zeit im Tessin erinnern?

Sie stellt sich vor, wie es sein wird, auf das was gerade ist zurückzublicken. Sie stellt sich vor, nach vorne zu gehen, um von diesem Punkt aus wieder zurückgehen zu können, um schließlich wieder dort anzukommen, wo sie jetzt ist. Sie stellt sich vor, wie es sein wird, sich zu erinnern.



Jana Mila Lippitz & Sophie Meuresch – Week 3
Jun 24, 2018

Die Kamera steht auf dem Stativ, beide Verlängerungen der Beine sind ausgefahren, sogar die Kurbel zum Hochschrauben der Hauptstange in der Mitte wurde betätigt. Das Bild wurde eingestellt, die Schärfe überprüft und anschliessend auf den roten Knopf gedruckt. Wir müssen uns auf die Zehenspitzen stellen, um das Bild zu überprüfen. Wie sind zufrieden, drücken auf den roten Knopf und filmen das Bett.

Das Stativ steht direkt vor dem Fenster auf dem terrakotta-farbenen Steinfußboden. Die Fensterläden sind offen, sie gehen nach innen. Über dem rechten Laden hängt eine blaue Jacke mit einer Kapuze. Die Ärmel sind hochgekrempelt, der Innenstoff ist grün und kariert. Wegen des Gegenlichts, welches durch das Fenster scheint, ist die Jacke kaum zu erkennen. Vielleicht ist sie auch schwarz. Draußen sind die grünen Berge, die im Licht blau schimmern. Oben der Horizont, Bergspitzen, Baumspitzen und das Weiß des Himmels, keine Wolken zu erkennen, nur Weiß. Rechts neben dem Fenster, ungefähr in der Mitte der Jacke, gibt es einen Vorsprung aus der Wand. Er ist weiß, hat viele Verschachtlungen und hebt sich deutlich von der hellblau gefärbten Wand (es ist ein warmes hellblau) ab. Der Vorsprung wird als Regal genutzt bzw. als Galerie, denn die Bücher zeigen mit ihrem Cover nach vorn. Sie schauen uns an, anstatt uns ihren Rücken zu zeigen. Sie sind sieben. Das Cover des ersten Buches, es steht links in der Nähe der Jacke, (dennoch würde noch ein anderes Buch zwischen dem ersten Buch und der Jacke Platz finden), ist so weit aufgeschlagen, dass man nicht das Cover, dafür aber die erste Seite des Buches, sie ist weiß, sehen kann. Neben dem ersten Buch ist eine Lücke, es folgen drei weitere Bücher, danach folgt wieder eine Lücke bevor drei weitere Bücher folgen, danach folgt wieder eine Lücke bevor ein weiteres Buch folgt, hinter dem noch ein weiteres Buch Platz gefunden hätte. Wenn wir also den Vorsprung von links nach rechts abfahren, ergibt sich also diese Reihenfolge: Lücke, Buch eins, Lücke, Buch zwei, Buch drei, Buch vier, Lücke, Buch fünf, Buch sechs, Buch sieben, Lücke, Buch acht, Lücke. Die letzte Lücke ist keine Lücke zwischen zwei Büchern, vielleicht kann man sie auch nicht als Lücke bezeichnen, aber da ist ein freies Feld am Ende des Vorsprungs, ein Platz für ein Buch. Es fehlt oder ist nie dagewesen. Buch eins und Buch acht haben also ungefähr den gleichen Abstand zu den Enden des Vorsprungs.

Rechts vom Vorsprung ein weiteres Fenster, identisch mit dem linken. Die Fensterläden sind geöffnet. Über dem rechten Laden hängt keine Jacke. Draußen sind die grünen Berge, die im Licht blau schimmern. Der Horizont verläuft vom zweiten Drittel der linken Seite des Fensters zum siebten Zehntel der rechten Seite des Fensters. Im unteren rechten Teil des Fensters und am unteren Rande des linken Teil des Fensters sind weiße und gelbe Häuser zu erkennen. Vor dem Fenster steht ein Holztisch mit eisernem Fuß. Da liegen vier Kameras, eine Schachtel Zigaretten, ein Handy, Münzen, zwei leere Gläser, Tabletten, Bücher, eine Teetasse, Plastikbeutel, eine Festplatte mit Kabel, eine schwarze Flasche, eine umgefallene Plastikflasche und noch viele weitere Dinge, die nicht zu erkennen sind. Der Tisch ist bedeckt, er trägt die Dinge. Er steht auf einem Teppich aus Bast, welcher geflochtene Rauten zeigt.

Links vom Teppich sind wir. Eine auf dem Rücken liegend, die Beine aufgestellt, seitlich zur Wand, direkt vor dem Kamin, der sich zwischen den beiden Fenstern befindet und somit direkt unter dem weißen Vorsprung mit den Büchern. Der Blick geht zur Decke. Die andere, direkt vor dem linken Fenster sitzend, die Beine mit den Armen umschlungen, blickt zum Bett.

Wir warten. Wir filmen. Wir warten bis der Film fertig ist. Wir hören Stimmen, sie kommen von unten und wir können nicht verstehen, was sie sagen, da sie nicht unsere Sprache sprechen. Links von uns (und auch links von dem Stativ mit der Kamera) steht ein großer alter Holzschank an der Wand. Seine Türen sind geöffnet. Auf Regalbrettern sind Kleidungsstücke gestapelt, an drei Bügeln im obersten Bereich des Schranks hängen drei Blusen, grün, grau-lila und blau. Weiter unten, in der Mitte des Schranks liegen weitere Kameras und ein Objektiv.

Wir warten, schauen uns an und geben uns Zeichen, noch ein wenig zu warten.

Dann steht eine von uns langsam und leise auf, stellt sich auf die Zehenspitzen und drückt auf den roten Knopf.

Jana Mila Lippitz & Sophie Meuresch – Week 2
Jun 24, 2018

Wir wachen auf und wir sehen den See. Oder die Berge. Es regnet. Der Regen wird mehr. Der Regen wird weniger. Lauter oder leiser. Wir sind beeindruckt von der Stille. Wir werden sie bald vermissen.

Wir stellen und gegenseitig Aufgaben. Wir wollen das, auf das wir blicken, mit Worten beschreiben. Versuchen, die Szenen, die wir sehen, festzuhalten. Sophie geht hinauf in den Wald, Jana steigt die Stufen hinab zum See. Oder andersrum.

Wir werden bald feststellen, dass wir nie hinterherkommen werden. Das Bild wird immer schneller sein, als wir selbst. Die Zeit wird uns immer voraus sein. Während wir über etwas schreiben, hat sich die Szene schon verändert. Wir müssen lügen, etwas hinzufügen, reflektieren oder uns an das, was gerade passiert ist erinnern, und versuchen, es aus der Erinnerung zu beschreiben.

Wir filmen. Wir blicken auf Bilder und sind gleichzeitig Teil des Bildes. Wir stehen hinter der Kamera und sind ganz still. Wir versuchen, das Bild, das wir sehen, nicht zu stören, wir halten den Atem an. Dann bauen wir das Stativ ab, schalten die Kamera aus und gehen weiter.

Wir versuchen, uns an das zu erinnern, was wir gesehen haben. An die Bilder, auf die wir blickten.

Wir sind immer im Bild, unsichtbar und sichtbar zugleich.

Wir wollen gemeinsam arbeiten. Wir brauchen eine Struktur, einen Plan, einen Rhythmus. Wir wollen versuchen, dem Tag Regeln zu geben, Abfolgen, wir wollen uns in diesen Rhythmus werfen. Durch ein ständiges Wiederholen der gleichen Dinge zur gleichen Zeit können wir einen Rhythmus finden, den wir gern haben, der einfach da ist, ohne anstrengend zu sein, einen Rhythmus, der uns automatisch weiterbringt (vielleicht).

Es ist nicht so einfach, diesem Rhythmus zu folgen und bald schweifen wir ab und verweilen oder kommen irgendwo an, wo wir gar nicht hinwollten. Aber auch dies ist ein Rhythmus, irgendwie. Oder zumindest eine schöne Melodie.

Später werden wir uns daran erinnern, wie wir versuchten, einen Rhythmus zu finden, wie wir rastlos in dem Haus umherwanderten, wie wir nach Plätzen suchten, an denen wir länger verweilen wollten oder konnten. Wir werden uns daran erinnern, dass wir immer wieder unterbrochen wurden, weil wir aus dem Fenster blicken, einen Film schauen oder essen wollten, weil wir das Haus verlassen oder der Stille zuhören mussten.

Wir können versuchen, ein Wir zu finden, vielleicht müssen wir das Ich streichen? Wollen wir über das Vergessen schreiben, wie fangen wir an, womit fangen wir an, wenn nicht ich mich erinnere oder vergesse, sondern wir? Und welche Fragen stellen wir, wenn wir nicht zu viel vorgeben wollen und nicht zu einnehmend sein wollen? Beginnen wir mit einem Wir. Wo befinden wir uns? Wir könnten auch beginnen zu sprechen. So würde der Dialog, der in diesem Text ist vom Blatt verschwinden. All das was hier steht, wären wahrscheinlich nur Worte gewesen. Es wäre das, was hinter dem stehen würde, was wir anstelle dessen geschrieben hätten. Vielleicht hätten wir einen Ort beschrieben. Vielleicht hätten wir über die Vorstellung geschrieben. Aber wir schreiben einen Text über das gemeinsame Schreiben.

Wir haben den Ort gewechselt, wir könnten nun auch die Art zu schreiben ändern, sollen wir beginnen zu sprechen oder ist es schön, gerade nicht zu sprechen?

Die Stunde ist gleich um.

Ohne das Sprechen taucht all das auf, was sich hinter dem befindet, was wir eigentlich hätten schreiben können. Was wir eigentlich schreiben wollten, vielleicht. Es ist also das Heraustreten aus dem Ganzen und das Beobachten der gesamten Szene. Sonst wäre nur das Bild selbst zu sehen (vielleicht). Vielleicht sind wir gerade jetzt in diesem Moment zu sehen, wie wir hinter der Kamera stehen und etwas filmen, während sich neben uns Menschen versammeln, die nicht auf dem Bild zu sehen sind und niemals dort zu sehen sein werden. Vielleicht würde die Sprache alles verändern (oder das Sprechen). Aber vielleicht sind wir garnicht hinter der Kamera und filmen und sehen mehr als das Bild, sondern wir sind vor der Kamera, wir sind das Bild, denn wir sind doch Hauptgegenstand der Betrachtung. Wir sind Hauptgegenstand der Betrachtung und sind im Bild und gleichzeitig betrachten wir selber. Wir sind reflexiv.

Jana Mila Lippitz & Sophie Meuresch – Week 1
Jun 24, 2018

Jana Mila Lippitz und Sophie Meuresch kennen sich seit dem Beginn ihres Fotografie-Studiums im Oktober 2013. Seitdem sind sie eng befreundet und führen einen intensiven, regelmäßigen Austausch über ihre Arbeiten und ihre Gedanken zum In-der-Welt-sein. Sie begreifen sich als eigenständige Künstlerinnen, wobei sich ihre Arbeiten – bedingt durch die enge Zusammenarbeit und den intensiven Austausch – gegenseitig beeinflussen.

Wie sehen Erinnerungen aus? Wann sind sie klar umrissen wie Fotografien, wann vage und verschwommen?

Erinnern, zurück-schauen, sich etwas vor-stellen, etwas wieder-holen wollen und sich ein-bild-en. Die Fotografie hält einen Moment im Jetzt fest, sie ist eine (konkrete) Erinnerung an die Vergangenheit und wirft ein Bild in die Zukunft. Jenes Zurückholen von etwas Dagewesenem, um durch seine Wiederholung etwas Neues zu schaffen, ist ein dynamischer Prozess. In der Fotografie steckt immer zugleich Wiederholung und Erinnerung.

Was passiert bei der Transformation, bei der Übersetzung von dem einen in das andere?

Wir sind nicht an einer logischen Erzählung mit einem Anfang und einem Ende interessiert, uns interessiert dieses Stottern, die Lücke, das Da-zwischen, was sich so schwer fassen lässt. Unsere Arbeit ist also eine Suche, ein Prozess; es ist der Versuch, diesen unendlichen Raum in unserem Kopf ein Stückchen erfahr- und greifbarer zu machen und ihn ins Außen, in die reale Welt zu holen, um mit Anderen über das Innen sprechen zu können