Mach‘ die Augen zu, was du dann siehst gehört dir !

August 9, 2015

Wer ein Auge auf die Kunst werfen möchte, kann zu den verabredeten Orten gehen, um etwas von ihr zu sehen. In dafür eingerichteten Kunsthäusern und Kunstpublikationen ist der ‘vorgesehene‘ Teil von Kunst in ‘festgestellten‘ Blicken zu sehen. Wer aber stellt die Blicke fest ? ‘Wer‘ hat ‘Was‘ in Werken ‘vorgesehen‘? So wie es ohne den blinden Fleck im Auge kein Sehen gäbe, gibt es auch kein Kunstwerk ohne die unsichtbaren Motive des Zeigens hinter einem Werk. An der blinden Stelle wo die Nervenenden in die Netzhaut eindringen und einen Austausch mit dem Gehirn ermöglichen, hat der gewohnte Blick die Blindheit ausgeblendet und das Sehen hinter die Netzhautbühne geschickt. Bei einem Kunstwerk scheint es sich ähnlich zu verhalten. Was wird gesehen, wenn wir vor Bildern und Skulpturen stehen und welche formbildenden Kräfte sind hinter den Werken verschwunden ? Welche unsichtbaren und ästhetisch verschwiegenen Kräfte waren am Werk ?

SCHAURAUM

Galerieräume und Schaufensterräume sind Schauräume in denen der Aufbau des Auges nachgebaut zu sein scheint, auch eine Glasvitrine gleicht den Funktionen und Aufgaben des Auges selbst. In dieser Vorstellung des Auges als Bau werden aus der runden Augenlinse rechteckige Fensterscheiben, aus dem runden Glaskörper des Auges der kubische Galerieraum und aus der kugelrunden Netzhaut die flachen Galeriewände, an denen die Bildwerke hängen und die außerhalb des Auges gemacht wurden. Das menschliche Auge durchwandert Zeit und Raum, wie ein Film, die Bilder und Gegenstände im Galerieraum dagegen sind ein festgeschraubter Blick in der laufenden Zeit des Auges. ‘Spaziert‘ das Auge durch eine Schaufensterpassage findet es unterschiedlich ‘fixierte‘ Blicke, deren verborgene Interessen interessant sind und deren ‘angehaltene‘ Interpretation interpretiert werden kann.

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Fritz Balthaus, Schauraum, Installation trouvé, 9 ausgeschaltete Glühbirnen, 9 eingeschaltete Neonröhren, Verkabelung; AFT, Alldone Foundation, Berlin 2012

Zu sehen ist eine Situation die als Lichtinstallation verstanden werden kann. Neun ausgeschaltete Glühbirnen und neun angeschaltete Neonröhren, die mit Kabeln verbunden sind. Insgesamt also eine technische, vielleicht aber auch signifikante Situation, die Fragen nach der hier tätigen Branche aufwirft. Der Installationsaufbau behandelt Kabel und Leuchtkörper gleichwertig. Ort und zeitliche Nähe zum Galerienrundgang lassen auf eine künstlerische Arbeit des amerikanischen Künstlers Matthew McCaslin schließen, oder brauchte da jemand nur Licht ?

Die ästhetische Stärke der Situation rührt wohl daher, daß das Ziel eines gut erhellten Raumes verfolgt wurde und die Schauseite der technischen Installation dabei unbeachtet blieb. Ging es am Schluß doch um die Zurschaustellung eines anzumietenden Ladenlokals? McCaslin, der diesen Blick also nicht installiert hat, war übrigens vor seiner Künstlerkarriere im Trockenbau tätig, einer Branche, die eng mit der Immobilenvermarktung verwoben ist und so manchem zwischenzunutzendem Galerieauge neue Netzhaut-Stellwände eingezogen hat.

NETZHAUTABLÖSUNG

Die ‘Freie Berliner Kunstausstellung‘, eine Ausstellung auf dem Messegelände am Funkturm, zeigte mit beginnendem Malboom vermehrt Leinwände auf Keilrahmen. Einzig aufregend war ein Phänomen auf der Messe im Jahr 1984. Einige Leinwände hatten sich unerklärlich und selbständig von den Wänden abgehoben. Vorsichtig lösten sie sich von den weißen Stellwänden, zuerst an einer, dann an zwei diagonal gegenüberliegenden Ecken. Naturerscheinungen ähnlich, wie Blumen die sich der wärmenden Sonne zuwenden und mit ihrem Schönheitskalkül in die Sichtbarkeit von Blütenbestäubern wachsen. Cool-white-neon auf Pigmentstaub wird die Leinwände nicht dazu bewegt haben den geheimnisvollen Raum zwischen sich und den weißen Wänden preiszugeben. Aber die Gemälde hatten sich bewegt und bildeten spitz zulaufende Schattenfugen zwischen sich und den Wänden. Was war das ? Eine Netzhautablösung zu Bedingungen des Galerieraumes oder der Anfang betrachterfressender Bilder ?

Fritz Balthaus, Netzhautablösung. Fotos von der Freien Berliner Kunstausstellung, Berlin 1984, VGBK Bonn

Fritz Balthaus, Fotografie, Freie Berliner Kunstausstellung 1984

Vielleicht aber auch bäumten sich die Leinwanduntergründe und Keilrahmen wie ‘raped canvases‘ gegen das Gemalte auf. Vielleicht machten sich die überspannten Malgründe und Canvasas aber auch nur auf den Weg in eine bessere, freiere Welt ? Zur selben Zeit jedenfalls bewegten sich auch Studierende des kalifornischen Kontextkünstlers Michael Asher von den Wänden ihrer Ateliers weg auf die Straßen von L.A., um ‚canvassing‘ für den damaligen Präsidentschaftskandidaten Mondale zu machen. Im Amerikanischen heißt ‚canvassing‘ sowohl >Wahlwerbung< als auch >Kundenfang< und so schienen sich die damaligen Kunstproduzierenden noch einmal in >Weltverbesserer< und >Kunstverbesserer< aufzuspalten. Ein Schisma ? Oder hatten die Berliner Malereistudierenden der hiesigen Kunsthochschule einfach nur im Grundkurs Maltechnik geschlafen ?

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