Milad – Woche 2 – Neun Jahre
Jul 14, 2021
Es braut sich etwas zusammen. Drüben am Hang und weiter im Tal. Vom Balkon aus lässt sich das Schauspiel beobachten. Weg sind die Farben und mit ihnen die Vögel. Ascona ist gänzlich umhüllt; Locarno wird als nächstes verschwinden. Um mich sind HeeJae, Olivia, Elena und ihr Freund, Felix. Wir stossen an.
Ein wenig erinnert mich das an jene Sommerabende an der Nordsee. Unweit des Hafens “Alten Liebe”, dort wo der Wind die Berge ersetzt und Land und Leute zu schweigenden Dünen formt, sah ich das letzte Mal ein ähnliches Bild. Damals, wie heute wurde blau zu grau und gab den Bäumen den Takt vor, zu denen sie tanzten. Oben und unten wurde dann eins und der Regen malte im Sand seine eigenen Bilder.
Sie trug ein sandfarbenes Kleid und ihr zuversichtliches Lächeln. Sie trägt es auch heute noch, wenn sie mich straucheln sieht.
Neun Jahre Ehe sind es heute. Ich möchte dir schreiben und weiss nicht was. Worte waren nie unsere Sprache. Wie die Bewohner der Alten Liebe, die einander schon von Weitem sehend in Gedanken ganze Gespräche führen, so blicken auch wir uns meist nur nickend an.
Inzwischen ist der See gänzlich im Dunst der Wolken versunken und seine kalten Vorboten kündigen den Sturm an. Im ganzen Land schreibt man sich besorgte SMS. Die Casa Sasso trotzt soweit.
Wir ziehen an, was unsere Koffer an wärmenden Kleidern hergeben und ziehen in den Sturm. Tessiner Essen lockt eben trotz Wind und Wetter. Es gibt Gnocci, gibt Fisch und Fleisch, dazu Wein und Limoncello. Wir prosten uns auf koreanisch, deutsch und farsi zu.
Ich schreibe dir.
Das Ambiente runden alteingesessene Stammgäste am Nebentisch ab. Ein schöner Abend. Damals, wie heute.