Das Wort zum Sonntag

June 29, 2014

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Die Philologin und Anglizistin Christine Grond-Rigler formuliert in der Einleitung zum Buch «Literatur und Digitalisierung» sehr präzise Gedanken zur Veränderung, die das digitale Buch mit sich bringt:

 

«Mit den technischen Möglichkeiten der Digitalisierung gehen Veränderungen im Bereich der Produktion, der Verbreitung und der Rezeption von Literatur einher, die oft als kulturelle Revolution empfunden werden. […] In einem Szenario des Umsturzes sind Vorurteile und Befürchtungen oft wirksamer als sachliche Analysen.»

«Neben der Begeisterung für die neue Technologie hat sich mit der Möglichkeit, Literatur [und Bücher allgemein] ohne Papier zu verbreiten, eine kulturkonservative Gegnerschaft gebildet, die durch das Verschwinden des gedruckten Buches nicht nur qualitative Ansprüche an die Literatur, sondern neben sprachlichen auch kognitive Kompetenzen und somit Kultur und Bildung allgemein gefährdet sieht. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurde das Buch zu einem Kultobjekt stilisiert, zu einem Symbol für das Gute an unserer Zivilisation erklärt.»

«Seit Beginn der 2000er Jahre hat sich […] die Bibliophilie zu einer kulturellen Mode mit Nostalgie-Charakter entwickelt. Die Begeisterung für das Buch wurde durch seine vermeintliche Gefährdung erheblich verstärkt, um nun mit grosser Emphase zelebriert und sentimental verklärt zu werden.»

«Ein weiteres Symptom der grassierenden Bibliophilie sind die Wettbewerbe um die «schönsten Bücher» in Deutschland, Österreich, Niederlande und der Schweiz. […] Die Auswahlkriterien sind […] ähnlich formuliert und darauf abgestimmt, eine anspruchsvolle Kultur des Buchdrucks zu fördern und zu erhalten. Bezeichnend ist, dass diese Förderung des Buches […] als Auftrag höherer Ordnung, also der Regierungen und Verwaltungseinrichtungen betrachtet wird.»

«Das von Händlern, Verlagen und Kulturpessimisten genährte Lob des Buches fördert die Obsession für ein Objekt, die nicht unbedingt mit einer Obsession für die Literatur gleichzusetzen ist. Als Hauptargument gegen das E-Book wird jedenfalls die für den Vorgang des Lesens so ungewohnte Materialität des Trägermediums genannt, die gerne als «fehlende Haptik» beschrieben wird. […] In seiner Materialisierung als Buch kann ein Werk den Charakter eines «Originals» annehmen, da es Gebrauchsspuren aufweist, einem sichtbaren Alterungsprozess unterliegt, eine eigene Geschichte hat, die jedes Exemplar vom anderen unterscheidet. […] Sämtliche Kriterien, die ein Buch aus bibliophiler Sicht wertvoll erscheinen lassen, betreffen jedenfalls seinen Objektcharakter und nicht die Integrität des literarischen Werkes als Text [oder den Inhalt im Allgemeinen].»

Christine Grond-Rigler und Wolfgang Straub (Hrsg.), Literatur und Digitalisierung. De Gruyter 2013.

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