Ariane Koch – Week 1 – Die Aufdrängung (ein Romanprojekt)
May 14, 2017
Es ist uns unmöglich den Gast zu lesen. Wir haben es versucht. Wir haben ihn studiert, wir haben ihn observiert und gegoogelt, wir haben zwar genickt, aber seine Sprache ist komplett unverständlich. Seine Eigenarten sagen uns nichts. Seine morgendlichen Rituale sind uns ein einziges Rätsel. Er zwirbelt mit den Haaren, er schlürft milchige Flüssigkeiten aus riesigen Schüsseln, er trägt künstliche Felle um die Schultern. Der Gast ist eine einzige Geschmacklosigkeit. Er ist eine Beleidung für unser ästhetisches Auge. Wir empfinden Mitleid mit dem Gast, denn er mimt einen Hippie oder einen Mammut, er mimt ausgestorbene Spezies, die uns nicht sonderlich helfen, die Gegenwart zu verstehen. Der Gast ist ein Nostalgiker. Er hängt seinen Gedanken nach, während wir arbeiten, während wir Geld auf unsere Konti schaufeln, während wir unseren Tagen eine Struktur zu verleihen versuchen, einen Takt, ein Metronom. Der Gast hingegen zieht Kreise durch die Stunden. Er verweigert die Linearität. Die Minuten rieseln nutzlos an seinen felligen Armen hinab, aber er schaukelt nur weiterhin im Schaukelstuhl, die Augen auf das Feuer gerichtet. Wir sagen zum Gast: Das ist keine Hose, das ist ein Pyjama.